Jeder kennt es: man öffnet den Briefkasten und findet darin Briefe, die für Produkte oder Dienstleistungen von einem – gegebenenfalls unbekannten – Unternehmen werben. Damit, wann die Zusendung solcher Direktwerbung und die damit verbundene Verarbeitung persönlicher Daten datenschutzrechtlich rechtmäßig sind, hatte sich kürzlich das OLG Stuttgart zu befassen (Hinweisbeschluss vom 2. Februar 2024, Az. 2 U 63/22).
Hintergrund dessen war, dass die Beklagte an den Kläger einen Werbebrief für Produkte einer Lebensversicherung übersandte, wobei die Beklagte die Adresse des Klägers über eine öffentliche Internetseite eines Adressanbieters erhalten hatte. Im Auftrag der Versicherung hatte die Beklagte die Daten dann zu Marketingzwecken verarbeitet, ohne die Daten selbst an die Lebensversicherung zu übermitteln (sog. Lettershop-Verfahren). Der Kläger hatte in diese Übermittlung weder eingewilligt, noch bestand eine Kundenbeziehung zur Beklagten oder deren Geschäftspartnern.
Daraufhin machte der Kläger gegenüber dem Beklagten sein datenschutzrechtliches Auskunfts- und Löschungsrecht geltend und klagte schließlich auf immateriellen Schadensersatz in Höhe von 3.000 EUR sowie der vorgerichtlichen Anwaltskosten gem. Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung (nachfolgend „DSGVO“). Das damit befasste Landgericht Stuttgart wies die Klage mit Urteil vom 25. Februar 2022 (Az. 17 O 807/21) ab. Die vom Kläger eingelegte Berufung wies das OLG Stuttgart jetzt als “offensichtlich unbegründet” zurück.
Übereinstimmend mit dem Urteil des Landgerichts begründet das Oberlandesgericht dies damit, dass die Zusendung der Werbung rechtmäßig im Sinne von Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO sei. Aus Erwägungsgrund Nr. 47 zur DSGVO ergebe sich, dass auch wirtschaftliche Interessen, wie das Vermitteln gewerblicher Informationen, ein berechtigtes Interesse im Sinne der Vorschrift sein können. Hingegen ergebe sich weder aus Art. 6 DSGVO noch aus den Erwägungsgründen Anhaltspunkte dafür, dass Direktwerbung nur innerhalb bestehender Kundenbeziehungen als berechtigtes Interesse anerkannt ist. Wirtschaftliche Interessen, die ein berechtigtes Interesse im Sinne der Norm darstellen, könnten vielmehr auch außerhalb oder im Vorfeld einer Kundenbeziehung liegen, da Werbebriefe ein notwendiges Mittel seien, um einerseits Bestandskunden zu pflegen, andererseits aber auch – wie im konkreten Fall – Neukunden zu gewinnen. Die Briefwerbung sei daher notwendig, um überhaupt in Kontakt mit potenziellen (Dritt-)Kunden zu kommen. Der Beklagte habe hierbei insbesondere schlüssig dargelegt, dass bereits die hohen Kosten von Briefwurfsendungen mit Werbung die Zahl solcher Werbemaßnahmen begrenze. Hierbei stehe das Interesse eines Dritten – hier der Lebensversicherung – dem Interesse des Beklagten als Verantwortlicher gleich.
Die Verarbeitung sei mithin auch zur Wahrung des berechtigten Interesses der Beklagten erforderlich gewesen. Dabei sei zudem der Einwand der Berufung unschädlich, dass eine Werbung per elektronischer Post möglich gewesen wäre. Zwar seien Verarbeitungen unzulässig, deren Zweck in zumutbarer Weise auch durch andere Mittel erreicht werden könnten, die weniger eingriffsintensiv sind. Die Zusendung von elektronischer Post sei jedoch nicht weniger belastend für Betroffene, was sich bereits aus der Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ergebe. Dieser qualifiziere elektronische Nachrichten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung vielmehr als unzumutbare Belästigung, wohingegen die Zusendung eines Briefes der sofort als Werbung erkennbar ist, in der Rechtsprechung des BGH als zulässig bewertet wird. Im Ergebnis sei die Abwägung des Landgerichts überzeugend, wonach dieses zu dem Ergebnis kam, dass die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers die Interessen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin jedenfalls nicht überwiegen. Hierbei führe allein das klägerische Interesse, keine Werbung zu erhalten nicht zu einer für ihn günstigen Interessenabwägung. Erst bei Widerspruch nach Art. 21 Abs. 2 DSGVO sei die künftige Direktwerbung unzulässig.
Fazit:
Der Beschluss des OLG Stuttgart stellt klar, dass die DSGVO das wirtschaftliche Interesse an Direktwerbung als berechtigtes Interesse anerkennt und die Versendung derartiger Werbung per Post auch erforderlich ist, um den Interessen der Werbenden gerecht zu werden. Solange das Interesse des Beworbenen dieses Interesse nicht überwiegt, also höher zu gewichten ist, ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig. Dies gilt unabhängig davon, ob bereits eine Kundenbeziehung besteht. Nach Ansicht des Oberlandesgericht kann somit die Briefwerbung unter gewissen Voraussetzungen zulässig sein, auch wenn keine ausdrückliche Einwilligung vorliegt.