Arbeitsrecht

Vertragsschluss, Aufklärungspflichten, Recht zur Lüge

I. Grundsatz: Formfreiheit

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt die Vertragsfreiheit. Beide Parteien können Abschluss, Inhalt und Form des Arbeitsvertrags daher grundsätzlich frei vereinbaren, sofern nicht zwingende gesetzliche, tarifvertragliche oder betriebliche Bestimmungen entgegenstehen (§ 105 GewO). Ein Arbeitsvertrag kann daher auch mündlich oder sogar konkludent, d.h. durch schlüssiges Verhalten abgeschlossen werden. Sofern ohne Vergütungsabrede „einfach drauf los“ gearbeitet wird, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die übliche Vergütung zahlen (§ 612 Abs. 2 BGB). Diese wird im Einzelfall branchen- und regionsspezifisch beurteilt, wobei es auf den Durchschnittsverdienst für eine vergleichbare Tätigkeit ankommt.

II. Ausnahmen

Auch wenn für den Arbeitsvertrag somit grundsätzlich kein Formerfordernis besteht, sollte vor allem der Arbeitgeber darauf bedacht sein, einen schriftlichen Arbeitsvertrag abzuschließen. Dafür spricht natürlich an erster Stelle die Beweissituation, da mit dem schriftlich gefassten Arbeitsvertrag Unklarheiten und Streitigkeiten über den Inhalt der Zusammenarbeit verhindert werden können.

Es gibt aber auch Situationen, in denen vom Grundsatz der Formfreiheit aus durchgreifenden Gründen abgesehen werden sollte.

Eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz, dass der Arbeitsvertrag formfrei abgeschlossen werden kann, ist in § 14 Abs. 4 TzBfG für die Befristung von Arbeitsverträgen geregelt. Die Befristung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Wird hiergegen verstoßen, so ist allerdings nicht der gesamte Arbeitsvertrag unwirksam, sondern lediglich die Befristungsabrede. Für den Arbeitgeber besteht daher die Gefahr, einen Arbeitnehmer unbefristet einzustellen, wenn er das Schriftformerfordernis missachtet (s. hierzu ausführlich).

Außerdem ist der Arbeitgeber durch das Nachweisgesetz verpflichtet spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung eine schriftliche Niederschrift mit wesentlichen Vertragsbedingungen (Name und Anschriften; Vergütung und Arbeitszeiten) auszuhändigen (§ 2 NachwG). Innerhalb der ersten sieben Tage und des ersten Monats sind weitere Vertragsbedingungen (z.B. Probezeit; Tätigkeitsbeschreibung) und Hinweise (Kündigungsverfahren) schriftlich festzuhalten. Ein sehr praktikabler Weg, um die Anforderungen des Nachweisgesetzes zu erfüllen, ist es die Pflichtangaben nach § 2 NachwG im schriftlichen Arbeitsvertrag aufzunehmen. Fehlen die Pflichtangaben gemäß § 2 NachwG im Arbeitsvertrag, hat der Arbeitgeber die Information über die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich an den Arbeitnehmer zu erteilen. Hält der Arbeitgeber die Vorgaben des Nachweisgesetzes nicht ein, wird dadurch der Arbeitsvertrag nicht unwirksam. Der Arbeitnehmer kann aber einen Schadensersatzanspruch haben, z.B. wenn der Arbeitnehmer aufgrund der fehlenden Zusammenfassung versäumt, tarifliche Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen.

Außerdem besteht seit der Reform des Nachweisgesetzes im Jahr 2022 für Arbeitgeber zudem die Gefahr, dass ihnen gegenüber ein Bußgeld verhängt wird, wenn die Anforderungen des Nachweisgesetzes nicht eingehalten werden.

Entsprechende Nachweispflichten wie das Nachweisgesetz sind auch bei Leiharbeitsverträgen (§ 11 Abs. 1 AÜG) und bei Berufsausbildungsverträgen (§ 11 BBIG) vorgesehen.

III. „Recht zur Lüge“

1. Grundsatz

Im Grundsatz müssen Arbeitnehmer vor Abschluss des Arbeitsvertrags keine Informationen über sich offenbaren, sofern nicht ausnahmsweise eine Offenbarungspflicht besteht. Eine Offenbarungspflicht kann bestehen, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Vertragsanbahnung, in der Regel während des Bewerbungsgesprächs, eine Frage dazu stellt. Beantwortet der Arbeitnehmer die Frage bewusst falsch und findet der Arbeitgeber dies nach Abschluss des Arbeitsvertrags heraus, ist fraglich, ob der Arbeitgeber sich vom Arbeitsvertrag lösen kann. In Betracht könnte eine Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung durch den Arbeitnehmer (§ 123 BGB) kommen.

Ob eine solche Anfechtung möglich ist, hängt vom Gegenstand der Frage ab. Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer nur nach Umständen fragen, an deren Beantwortung er im Hinblick auf die Entscheidung über die Einstellung ein nachvollziehbares und berechtigtes Interesse hat. Besteht an dem Inhalt der Frage kein nachvollziehbares Interesse oder darf nach der Tatsache aufgrund gesetzlicher Wertungen von vornherein nicht gefragt werden, so ist die Falschbeantwortung durch den Arbeitnehmer keine widerrechtliche Täuschung und berechtigt daher auch nicht zur Anfechtung. Dem Arbeitnehmer steht in solchen Fällen im Ergebnis also ein „Recht zur Lüge“ zu. Dass der Arbeitnehmer bei unzulässigen Fragen auch hätte schweigen können, kann der Arbeitgeber nicht einwenden, weil ein Schweigen in der Praxis häufig bereits dazu führen würde, dass der Arbeitnehmer nicht eingestellt wird.

2. Recht zur Lüge bei Frage nach Schwangerschaft

Der bekannteste Fall des „Rechts zur Lüge“ ist die Frage des Arbeitsgebers nach einer bestehenden Schwangerschaft. Fragt der Arbeitgeber nach der Schwangerschaft, so muss die Bewerberin hierauf nicht nur nicht antworten, sondern kann aktiv über das Bestehen ihrer Schwangerschaft lügen. Das gilt selbst dann, wenn sie die angestrebte Tätigkeit aufgrund des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes (§ 16 MuSchG) erst nach ihrer Schwangerschaft antreten kann. Die überwiegende Auffassung gewährt das Rechts zur Lüge außerdem selbst in dem Fall, dass das Arbeitsverhältnis so befristet ist, dass die Bewerberin aufgrund ihres Mutterschutzes überhaupt nicht arbeiten wird.

3. Frage nach Vorstrafen

Praktisch von wesentlicher Bedeutung ist auch die Frage des Arbeitgebers nach bestehenden Vorstrafen. Eine pauschale Frage nach Vorstrafen ist Arbeitgeber in der Regel verwehrt, da sie zu stark in das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers eingreift und daher unzulässig ist. Arbeitgeber sind aber dazu berechtigt nach konkreten Vorstrafen zu fragen, wenn diese auf Eigenschaften des Bewerbers schließen lassen, die für die zukünftige Tätigkeit des Bewerbers von Relevanz sind. Erforderlich ist daher, dass Arbeitgeber die Frage auf einen konkreten Deliktsbereich einschränken. So sind Arbeitgeber im Rahmen der Besetzung einer Stelle als Kassierer beispielsweise sicherlich dazu berechtigt, nach Vorstrafen im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte zu fragen. Bei Apothekern wären daneben auch Delikte im Arzneimittelgesetz und Betäubungsmittelgesetz relevant. Für Berufskraftfahrer könnte insbesondere nach Straßenverkehrsdelikten gefragt werden. Die Frage nach der Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts wäre hingegen wohl unzulässig.

Wiederum gilt, dass der Bewerber unzulässige Fragen vorsätzlich falsch beantworten darf, ohne dass dies den Arbeitgeber zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigt (sog. „Recht zur Lüge“). Zu beachten ist außerdem, dass das BZRG für Vorstrafen Tilgungsfristen von 5 bis 20 Jahren vorsieht, nach deren Ablauf Täter wieder als unvorbestraft gelten und sich auch so bezeichnen dürfen. Sie müssen die Vorstrafe dann nicht mehr angeben.

Beispiele für Berufe und relevante Strafvorschriften

Berufstätigkeit Relevante Vorstrafen
KassiererVermögens- und Eigentumsdelikte §§ 242, 246, 266 StGB
ApothekerVerstöße gegen Arzneimittelgesetz, Betäubungsmittelgesetz, Vermögens- und Eigentumsdelikte §§ 242, 246, 266 StGB
BerufskraftfahrerStraßenverkehrsdelikte §§ 142, 315b ff. StGB
Bankkaufmann/
Finanzberater
§§ 119 ff. WpHG,
Vermögens- und Eigentumsdelikte §§ 146 ff, 242, 246, 261, 266 StGB
ArztVerstöße gegen Arzneimittelgesetz, Betäubungsmittelgesetz; Transplantationsgesetz, Leben und körperliche Unversehrtheit §§ 212 ff., 218c, 223 ff. StGB
ErzieherVerletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB), Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 174 c StGB, §§ 176 bis 180a StGB, § 181a StGB, §§ 182 bis 184g StGB, § 184i StGB), Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand haben (§ 201a Abs. 3 StGB), Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB), Straftaten gegen die persönliche Freiheit (§§ 232 bis 233 a StGB, § 234 StGB, § 235 StGB, § 236 StGB).

4. Faktisches bzw. fehlerhaftes Arbeitsverhältnis

Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber arglistig getäuscht, ohne dass ein “Recht zur Lüge” bestand oder ist der Arbeitnehmer einer bestehenden Aufklärungspflicht vor Vertragsschluss nicht nachgekommen, so steht dem Arbeitgeber das Recht zur Anfechtung des Arbeitsvertrages zu (§ 123 Abs. 1 BGB). Grundsätzlich führt die Anfechtung von Verträgen dazu, dass diese als von Anfang an (ex tunc) nichtig angesehen werden (§ 142 Abs. 1 BGB) und ausgetauschte Leistungen daher rückabgewickelt werden müssen. Wurde das Arbeitsverhältnis allerdings schon in Vollzug gesetzt, so würden sich zahlreiche, kaum überblickbare wechselseitige Ansprüche ergeben. Sofern dem keine höherrangigen schutzwürdigen Interessen entgegenstehen, führt die Anfechtung von bereits in Vollzug gesetzten Arbeitsverträgen nach der Lehre vom sog. faktischen oder fehlerhaften Arbeitsverhältnis daher dazu, dass das Arbeitsverhältnis abweichend vom Grundsatz für die Vergangenheit als wirksam behandelt wird. Die Anfechtung wirkt dann ausnahmsweise erst für die Zukunft (ex nunc), sodass eine umfassende Rückabwicklung bereits ausgetauschter Leistungen nicht stattfindet. Ausnahmen hiervon bestehen einerseits, wenn keine Abwicklungsschwierigkeiten bestehen, weil der Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nie gearbeitet hat. Andererseits sind auch besonders schwere Mängel denkbar, bei denen kein „faktisches Arbeitsverhältnis“ entstehen kann, z.B. wenn einem Arzt von Anfang an die Approbation fehlte.

Ihre Ansprechpartner:
Netzwerk
Logo_GGI-member_landscape_rgb