Arbeitsrecht

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Wird ein Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis krank und ist aufgrund dessen arbeitsunfähig, so kann er einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber haben.

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird dem Arbeitnehmer gesetzlich und unabdingbar garantiert (§§ 3, 12 EFZG). Im Falle einer Arbeitsunfähigkeit müssen Arbeitgeber ihren Beschäftigten die Vergütung aber nur dann weiterzahlen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt und bestimmte Ausnahmen nicht einschlägig sind.

I. Voraussetzungen der Entgeltfortzahlung

Damit der Arbeitnehmer bei einer Krankheit Entgeltfortzahlung beanspruchen kann, müssen folgende Voraussetzung erfüllt sein:

  • es muss eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegen; das heißt, beim Arbeitnehmer muss ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand vorliegen, der bedingt, dass der Arbeitnehmer seine konkret vertraglich geschuldete Arbeitsleistung objektiv nicht ausüben kann oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert wird.

    Seit dem 1. Januar 2023 müssen gesetzlich-versicherte Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) – umgangssprachlich „gelber Schein“ genannt – mehr vorlegen. Stattdessen muss der Arbeitnehmer nun nach neuer Gesetzeslage zum Arzt gehen und die Arbeitsunfähigkeit von diesem feststellen lassen. Nach dem Gesetz ist für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit eine Frist von vier Tagen vorgesehen.

    Der Arbeitgeber kann aber auch eine frühere Feststellung verlangen. Die Daten über die Arbeitsunfähigkeit, z.B. deren Dauer, werden dann elektronisch von dem Arzt an die zuständige gesetzliche Krankenkasse übermittelt. Die Krankenkasse stellt dann die Daten der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) dem Arbeitgeber zum Abruf zur Verfügung.

    Für einen nicht gesetzlich-versicherten Arbeitnehmer verbleibt es bei der Rechtslage, die allgemein bis zum 31. Dezember 2022 gegolten hat. Er weist die Arbeitsunfähigkeit in der Regel durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der in der Praxis ein hoher Beweiswert zukommt, nach. Der Beweiswert kann in engen Ausnahmefällen erschüttert werden, nach der Rechtsprechung z.B., wenn ein Arbeitnehmer kündigt und am selben Tag krankgeschrieben wird und die vorgelegte AU passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (BAG, v. 08.09.2021 – Az.: 5 AZR 149/21);

  • das Arbeitsverhältnis muss seit mindestens vier Wochen ununterbrochen bestehen. Dabei kommt es nur auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an. Ob der Arbeitnehmer tatsächlich beschäftigt wurde, ist nicht entscheidend;

  • die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss die einzige Ursache der Arbeitsverhinderung sein;

  • die Arbeitsunfähigkeit muss unverschuldet entstanden sein; der Arbeitnehmer darf die Arbeitsunfähigkeit also nicht leichtfertig oder vorsätzlich herbeigeführt haben; Leichtfertigkeit oder Vorsatz kann ausnahmsweise angenommen werden, wenn die Arbeitsunfähigkeit zum Beispiel auf einem (i) vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstoß gegen die Verkehrsregeln, (ii) einer Trunkenheitsfahrt oder (iii) auf einem Sportunfall bei der Ausübung einer besonders gefährlichen Sportart beruht. Mit dem Einwand, dass die Arbeitsunfähigkeit verschuldet herbeigeführt wurde, wird der Arbeitgeber nur in Ausnahmefällen Erfolg haben. In einer erstinstanzlichen Entscheidung aus dem Jahr 1989 wurde z.B. Kick-Boxen als eine besonders gefährliche Sportart eingestuft. Andere Arbeitsgerichte haben hingegen Amateurboxen, Drachenfliegen und Motorrad-Rennsport nicht als besonders gefährliche Sportarten eingestuft und eine Entgeltfortzahlung gewährt. Außerdem hat sich sogar im Zusammenhang mit Abhängigkeiten/Suchtkrankheiten mittlerweile die Tendenz durchgesetzt, dass darauf beruhende Arbeitsunfähigkeiten nicht stets als selbst verschuldet angesehen werden können.

II. Zeitlicher Umfang der Entgeltfortzahlung

Grundsätzlich umfasst der Entgeltfortzahlungsanspruch für eine Arbeitsunfähigkeit einen Zeitraum von 42 Kalendertagen – also sechs Wochen. Dabei werden die Tage, an denen keine Arbeitsleistung erbracht wird (Sonntage, Feiertage, freie Tage) mitgezählt. Ist der Entgeltfortzahlungszeitraum ausgelaufen, kann im Anschluss ein Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Krankenkasse bestehen.

Die zeitliche Begrenzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs hat aber nicht etwa zur Folge, dass die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch die arbeitsunfähigkeitsbedingte Entgeltfortzahlung auf höchstens sechs Wochen je Kalenderjahr und je Arbeitnehmer beschränkt wäre. Vielmehr steht einem Arbeitnehmer bei jeder erneuten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im Grundsatz ein neuer sechswöchiger Entgeltfortzahlungszeitraum zu. Dies gilt jedenfalls, sofern bei der erneuten Arbeitsunfähigkeit nicht eine der beiden folgenden Ausnahmekonstellation einschlägig ist:

  • Wiederholte Erkrankung – Fortsetzungskrankheit
    Bei einer Fortsetzungserkrankung beruhen die erste Arbeitsunfähigkeit und die erneute Arbeitsunfähigkeit zwar auf den ersten Blick auf unterschiedlichen Erkrankungen. Jedoch beruhen die unterschiedlichen Erkrankungen auf demselben Grundleiden. Das Grundleiden hat somit (möglicherweise latent) weiterbestanden, aber unterschiedliche Auswirkungen gezeigt. Dies hat zur Folge, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit als eine Fortsetzung der ersten Arbeitsunfähigkeit angesehen werden kann, da die erneute Erkrankung eine Folgewirkung des fortbestehenden Grundleidens darstellt. In der Praxis kann dies zum Beispiel so aussehen, dass ein Arbeitnehmer an einer rheumatischen Erkrankung leidet, die zunächst starke Rückenschmerzen verursacht und im Anschluss zu einer Bewegungsunfähigkeit im Bein führt.

    Sind die Voraussetzungen der Fortsetzungserkrankung erfüllt, besteht für die erneute krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit kein eigener, neuer 6-wöchiger Entgeltfortzahlungsanspruch (hierzu etwa BAG, Urteil v. 10.09.2014 – Az.: 10 AZR 651/21 Rn. 24 bis 28). In diesem Fall ist der Entgeltfortzahlungsanspruch somit auf sechs Wochen seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit beschränkt.

    Der Grundsatz der Fortsetzungserkrankung findet schließlich keine Anwendung, wenn zwischen der ersten Arbeitsunfähigkeit und der erneuten Arbeitsunfähigkeit mehr als sechs Monate liegen, ohne dass das Grundleiden eine Arbeitsunfähigkeit bewirkt hat oder seit der ersten Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Grundleidens zwölf Monate vergangen sind.
  • Wiederholte Erkrankung – Einheit des Verhinderungsfalls
    Bei der Einheit des Verhinderungsfalls beruhen die erste Arbeitsunfähigkeit und die erneute Arbeitsunfähigkeit auf unterschiedlichen Erkrankungen und Grundleiden. Nach dem zuvor benannten Grundsatz hat der Arbeitnehmer für beide Arbeitsunfähigkeiten eigentlich jeweils einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für bis zu sechs Wochen. Der Grundsatz wird nach der Rechtsprechung des BAG aber durch die Fallgruppe der Einheit des Versicherungsfalls eingeschränkt. Diese Fallgruppe ist einschlägig, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit entsteht, während die erste Arbeitsunfähigkeit noch besteht und es somit zu einer zeitlichen Überschneidung der beiden Arbeitsunfähigkeiten kommt.

    Das BAG hat das Bestehen der Fallgruppe der Einheit des Verhinderungsfalls im Dezember 2019 in einem Urteil zuletzt nochmals bestätigt: Als Ergebnis hat es festgehalten, dass der Arbeitnehmer bei einer Einheit des Versicherungsfalls nur für sechs Wochen Entgeltfortzahlung beanspruchen kann. Entscheidend kommt es nach dem BAG darauf an, ob die erste Arbeitsunfähigkeit in dem Zeitpunkt vollständig beendet war, als die zweite Arbeitsunfähigkeit hinzugetreten ist. Besteht hierüber Streit und ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den beiden Arbeitsunfähigkeiten gegeben, muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Hinzutretens der erneuten Arbeitsunfähigkeit die erste Arbeitsunfähigkeit vollständig beendet war. Das Vorlegen einer „Erstbescheinigung“ ist hierfür allein nicht ausreichend. Es ist davon auszugehen, dass die Arbeitsunfähigkeit endet, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitstätigkeit tatsächlich wiederaufgenommen hat oder er zumindest arbeitsfähig war (vgl. BAG, Urteil v. 11.12.2019 – Az.: 5 AZR 505/18).

III. Höhe des Anspruchs

Es gilt gemäß dem sogenannten Entgeltausfallprinzip, dass der Arbeitnehmer während der sechswöchigen Entgeltfortzahlung das Arbeitsentgelt erhält, welches er ohne die Arbeitsunfähigkeit erhalten hätte. Umfasst sind daher neben der regulären Vergütung auch alle laufenden Lohnzulagen, Boni, Provisionen, Prämien und geldwerte Vorteile. Außerdem wirken sich auch während der Krankheit eintretende Tarifänderungen unmittelbar auf die Höhe der Entgeltfortzahlung aus.

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