MELDUNG

Kein Verstoß gegen die DSGVO durch Verwendung von Gesundheitsdaten in einem Prozess – Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 19.01.2022 (Az.: 6 K 6361/21.WI)

In einem Urteil vom 19.01.2022 hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden entschieden, dass in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren Gesundheitsdaten auch von der Gegenseite vorgetragen werden dürfen.

In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte der Kläger ein Einschreiten der Landesdatenschutzbeauftragten Niedersachen gegen eine Rechtsanwältin, die die Arbeitgeberin des Klägers in einem Arbeitsgerichtsprozess vertritt. Der Kläger unterstellte der Rechtsanwältin eine rechtswidrige Datenerhebung.

Sachverhalt

Bei dem Kläger handelt es sich um einen angestellten Volljuristen. Nach längerer Krankschreibung bat er seine Arbeitgeberin um ein Gespräch hinsichtlich seines künftigen Arbeitseinsatzes. Dieses verlief jedoch ohne Ergebnis.

Aus diesem Grund erhob der Volljurist Klage bei dem Arbeitsgericht Hannover und verlangte eine behindertengerechte Beschäftigung und Schadensersatz. Nach Abweisung der Klage legte der Kläger Berufung ein. Über das beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen anhängige Verfahren wurde bisher noch nicht entschieden.

Zusätzlich wandte der Kläger sich an die Datenschutzbeauftragte des Landes Niedersachen, um einen datenschutzrechtlichen Verstoß der Rechtsanwältin der Arbeitgeberin zu melden. Diese habe nach Ansicht des Klägers sowohl in den eingereichten Schriftsätzen als auch mündlich in den Gerichtsterminen umfangreich und wiederholt den Kläger aus einem vertraulichen Gespräch mit der Arbeitgeberin zitiert. Dadurch seien sensible personenbezogene Gesundheitsdaten des Klägers der Öffentlichkeit preisgegeben worden.

Gerichtliche Entscheidung

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden stellt fest, dass die Datenverarbeitung durch die Rechtsanwältin auf Grundlage von Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO erfolgte.

Nach diesen Normen ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist und die Interessen der betroffenen Person nicht überwiegen.

1. Verarbeitung und Verantwortlicher

Eine Datenverarbeitung im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO, worunter jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführter Vorgang fällt, liegt im vorliegenden Fall durch Verwendung der Daten in dem Prozess vor.

Die Rechtsanwältin ist in Bezug auf die Datenverarbeitung als Verantwortliche im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO anzusehen. Ausschlaggebend dafür ist ihr Status als unabhängiges Organ der Rechtspflege gemäß § 1 BRAO, wodurch sie in ihrer Vertretereigenschaft die Verantwortung für den Inhalt der Schriftsätze hinsichtlich der Haftung und der Gestaltung trägt.

2. Berechtigtes Interesse

Nach dem Verwaltungsgericht können rechtliche, wirtschaftliche und ideelle Interessen als berechtigtes Interesse gelten.

Das Gericht stellt fest, dass ein berechtigtes Interesse der Anwältin darin bestand, die von ihrer Mandantin gemachten Angaben bezüglich des Gesundheitszustands des Klägers zu verarbeiten. Grund dafür seien ihre vertraglichen Verpflichtungen als Vertreterin ihrer Mandantin. Eine anwaltliche Tätigkeit sei nicht möglich, wenn nicht vorgetragen werden dürfe, was der eigene Mandant einem mitteile.

3. Interessenabwägung

Auch eine Interessenabwägung fällt nach Ansicht des Gerichts zu Gunsten der Anwältin aus.

Zwar ist die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO grundsätzlich verboten. Gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO gilt das Verbot jedoch nicht, wenn eine Verarbeitung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich ist. Die Norm dient der Sicherung des Justizgewährleistungsanspruchs. Vor dem Hintergrund des effektiven Rechtsschutzes muss dies auch für die Abwehr von Ansprüchen gelten.

Ausschlaggebend dafür, dass die Verarbeitung der Gesundheitsdaten durch die Anwältin erforderlich war und ihr Interesse bei einer Interessenabwägung überwiegt, sei, dass die von ihr verwendeten Daten nicht unrichtig waren und auch nicht rechtswidrig beschafft wurden. Hinzu komme, dass die Gesundheitsdaten bereits mit dem Klagebegehren, welches auf eine behindertengerechte Beschäftigung gerichtet war, von dem Kläger selbst eingebracht wurden. Auch legte der Kläger selbst ärztliche Atteste im arbeitsgerichtlichen Verfahren vor. Da der Justizgewährleistungsanspruch nicht einseitig zu Lasten des Beklagten gelten könne, müsse die Gegenseite nach Ansicht des Gerichts ebenfalls entsprechende Angaben vortragen dürfen, damit ein faires Verfahren gewährleistet sei.

4. Ergebnis

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat die Anträge des Klägers aus den genannten Gründen als unbegründet abgewiesen. Da die Datenverarbeitung als rechtmäßig anzusehen ist, hat der Kläger keinen Anspruch auf Einschreiten der Beklagten gegen die Rechtsanwältin.

Bewertung

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden ist insbesondere für Anwälte von hoher Praxisrelevanz, da sie Klarheit darüber verschafft, dass unter Umständen auch sensible personenbezogene Daten wie Gesundheitsdaten der Gegenseite im Prozess verwendet werden dürfen.

Es ist jedoch stets zu beachten, dass insbesondere bei einer Offenlegung von Gesundheitsdaten stark in die Intimsphäre einer Person und ihr in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG normiertes Allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen wird. Die Detailtiefe und die Sensibilität der jeweils betroffenen Gesundheitsdaten sollten bei einer Interessenabwägung stets genau analysiert werden. Zudem ist es wichtig, dass der Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person möglichst gering gehalten wird. Daher sollten – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) DSGVO – nur solche Daten in dem Verfahren verwendet werden, deren Vortrag für die gerichtliche Entscheidung inhaltlich tatsächlich notwendig ist.

Zugunsten der Anwälte der Gegenseite muss bei einer Abwägung stets stark ins Gewicht fallen, wenn die Daten (wie im vorliegenden Fall) von dem Kläger selbst in das Verfahren eingebracht wurden. In einem solchen Fall ist für eine inhaltlich richtige gerichtliche Entscheidung und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens ein transparenter Umgang mit den Gesundheitsdaten des Klägers zwingend erforderlich.

Insgesamt ist dem Abwägungsergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht Wiesbaden gelangte, daher zuzustimmen.

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