MELDUNG

Pflichten der Geschäftsleitung in Zeiten der COVID-19-Pandemie

Die COVID-19-Pandemie und die in diesem Zusammenhang ergriffenen staatlichen Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene (wie beispielsweise die Schließung von Einrichtungen und Einzelhandelsgeschäften, der Erlass von Quarantäneanordnungen und Ausgangsbeschränkungen) haben zu einem erheblichen Einbruch der Wirtschaft in Deutschland geführt, die Finanz-/ und Kapitalmärkte stehen unter erheblichem Druck, eine Rezession steht zu befürchten.

Unternehmen vieler Industrien bekommen diese negativen wirtschaftlichen Auswirkungen unmittelbar in Form von unterbrochenen Lieferketten, teilweise erheblichen Umsatzeinbrüchen und der Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen für Angestellte zu spüren. Nicht selten liegt eine konkrete Existenzgefährdung für Unternehmen vor.

In diesen Krisenzeiten werden besondere Anforderungen an die Leitungsorgane von Unternehmen gestellt. Nachfolgend soll ein Überblick über die wesentlichen rechtlichen Pflichten der Geschäftsleitung von Aktiengesellschaften („AG“) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung („GmbH“) in der aktuellen Situation gegeben werden.

1. Allgemeine Sorgfaltspflicht und Haftung

Der Vorstand einer AG und der Geschäftsführer einer GmbH haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Geschäftsleiter, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft gegenüber zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet, §§ 93 Abs. 1 u. 2, 43 Abs. 1 u. 2 GmbHG.

Im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht hat die Geschäftsleitung Schaden von der Gesellschaft abzuwenden und auf Krisen entsprechend zu reagieren, insbesondere einen individuellen Plan zur Betriebskontinuität (Business Continuity Plan) zu erstellen oder aktualisieren, der die für das jeweilige Unternehmen konkreten Krisenszenarien sowie etwaige Maßnahmen ihrer Abwendung beinhaltet. Die Liquiditätsplanung der Gesellschaft ist fortlaufend an die sich ändernden Gegebenheiten anzupassen und entsprechende Sicherungsmaßnahmen sind zu ergreifen. Dazu zählen beispielsweise auch die Beantragung von Kurzarbeit, Steuerstundungen und Stundungen von Sozialversicherungsbeiträgen, die Inanspruchnahme von (staatlichen) Fördermitteln und Darlehen und/ oder die Einleitung von Sanierungsmaßnahmen.

2. Pflicht zur Einführung eines Risikomanagementsystems

Unabhängig davon, ob eine (wirtschaftliche) Krise besteht, aber insbesondere auch in Krisenzeiten wie der der COVID-19-Pandemie, hat der Vorstand einer AG gemäß § 91 Abs. 2 AktGgeeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit die den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Diese Vorschrift ist nach überwiegender Ansicht grundsätzlich auch auf die GmbH entsprechend anzuwenden, zumindest soweit ihre Größe, die Komplexität ihrer Struktur und ihre Geschäftstätigkeit es erfordern.

Dementsprechend hat die Geschäftsleitung (konzernweit) sowohl geeignete Maßnahmen zur Früherkennung zu treffen als auch ein Überwachungssystem in Form eines umfassenden Risikomanagementsystems (s. dazu den vom Institut der Deutschen Wirtschaft formulierten Prüfungsstandard IDW PS 340) zu installieren. Im Wesentlichen sind die für das konkrete Unternehmen bestehenden Risken (i) zu identifizieren, (ii) hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichen Schadenshöhe zu analysieren und (iii) Maßnahmen zur Risikobewältigung (insbesondere durch Risikovermeidung, -minderung, -überwälzung und -kompensation) zu treffen.

Auf dieser Grundlage hat die Geschäftsleitung fortlaufend die im Zusammenhang mit der Verbreitung des Corona-Virus und der damit verbundenen (staatlichen) Maßnahmen bestehenden Risiken für die Gesellschaft individuell zu ermitteln, diese Risiken einer Prognose zu unterwerfen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts ist und welche wirtschaftlichen Folgen daraus für die Gesellschaft resultieren können, und schließlich erforderliche Maßnahmen zu ihrer Vermeidung/ Abmilderung zu treffen.

Die vorgenannten Maßnahmen der Risikoanalyse und Risikobewältigung eröffnen der Geschäftsleitung einen unternehmerischen Ermessensspielraum im Sinne von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. Danach liegt einePflichtverletzung des Vorstands einer AG nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer (i) unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise (ii) annehmen durfte, auf der (iii) Grundlage angemessener Information (iv) zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Nach ganz überwiegender Meinung findet diese Regelung auch auf das Handeln des Geschäftsführers einer GmbH Anwendung.

Darauf basierend ist der Geschäftsleitung zu empfehlen, die Risikoanalyse und Risikobewältigung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemieauf der Grundlage angemessener Informationen vorzunehmen. Die Angemessenheit beurteilt sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls. Die Informationstiefe hat unter einer Abwägung von Zeitdruck, Risiken der Entscheidung und einer Kosten-Nutzen-Relation zu erfolgen. Auf dieser Basis hat die Entscheidung im Wohle der Gesellschaft zu stehen, sie muss also im Unternehmensinteresse liegen und frei von Eigen- oder Drittinteressen sein. An dieser Stelle hat eine Abwägung der Vornahme der Maßnahme gegenüber ihrer Nichtvornahme und der Vornahme etwaiger anderer Maßnahmen zu erfolgen. Hierbei sind insbesondere die langfristige Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaft und ihrer Produkte/ Dienstleistungen vorrangig zu berücksichtigen. Langfristige Perspektiven und künftige Geschäftschancen sind dabei von höherer Bedeutung und können kurzfristig einen Gewinnverzicht oder höhere Kosten rechtfertigen.

3. Pflicht zur Einberufung einer Haupt-/ Gesellschafterversammlung

Der in Rechtsprechung und Literatur anerkannte Pflichtenkatalog umfasst die Verpflichtung der Geschäftsleitung zu jedem Zeitpunkt eine Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft zu haben. Die Geschäftsleitung soll die Liquidität und Rentabilität sowie die Umsatzentwicklung fortlaufend beurteilen können und eine ständige Kontrolle der Solvenz des Unternehmens vornehmen.

Ergibt sich bei der Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtgemäßen Ermessen anzunehmen, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grund-/ Stammkapitals besteht, hat die Geschäftsleitung unverzüglich die Haupt-/ Gesellschaftsversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen, §§ 92 Abs. 1 AktG, 49 Abs. 3 GmbHG. Unabhängig davon ist der Geschäftsleitung zu empfehlen, zeitnah die Aktionäre/ Gesellschafter über eine wirtschaftlich kritische Entwicklung zu informieren.

4. Überwachung der Insolvenzantragspflichten und Dokumentation

Gemäß § 15a InsO hat die Geschäftsleitung ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 InsO oder Überschuldung im Sinne von § 19 InsO einer juristischen Person, einen Insolvenzantrag zu stellen.

Die Insolvenzantragspflicht ist gemäß des am 27. März verabschiedeten Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Die Aussetzung greift nur dann nicht, wenn die Insolvenzreife (i) nicht auf Folgen der COVID-19-Pandemie beruht oder (ii) keine Aussicht auf die Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit besteht. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die teilweise Einschränkung der Insolvenzantragspflicht die Geschäftsleitung nicht von einer laufenden Prüfung entbindet, ob ein Insolvenzantragsgrund vorliegt. Vielmehr müssen die Insolvenzantragspflichten ständig überwacht werden, ob die COVID-19-Pandemiekausal für die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist. Die Überwachung ist zu dokumentieren.

Während der Dauer der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gelten für die Geschäftsleitung Haftungserleichterungen in der Form, dass Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters als vereinbar gelten (vgl. §§ 92 Abs. 2 S. 2 AktG, 64 S. 2 GmbHG), die „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen“. Zahlungen sind als nicht sorgfaltspflichtwidrig anzusehen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen.

Sofern Sie in diesem Zusammenhang Fragen haben, stehen wir Ihnen gern jederzeit zur Verfügung.

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